Glaubensgerechtigkeit-4

Glaubensgerechtigkeit-4

Predigt Römer 3.21-22, von Bruder Werner Küch am 18.11.2018 gehalten und überarbeitet (Teil 4 von 4)

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.
Wir kommen heute Morgen in der Predigt noch einmal zurück auf das dritte Kapitel des Römerbriefes. Ich lese uns die Verse 21 + 22:
"Nun aber ist ohne Gesetz die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben."
Vor etlichen Jahren fand in Helsinki eine lutherische Weltkonferenz statt, und in einem der Referate fiel der Satz: "Die bisherige Rechtfertigungstheologie reicht für die Probleme der heutigen Zeit nicht mehr aus. Es müssen neue Antworten und Wege gefunden werden." Offensichtlich hat man bisher keine neuen Antworten und Wege gefunden, um die Probleme in unserer Zeit und Welt zu lösen.
Das Wort Gottes gibt uns einen anderen Rat.
Wir lesen es im Propheten Jeremia, K. 6,16:
"So spricht der Herr: Tretet hin an die Wege und schaut und fragt nach den Wegen der Vorzeit, welches der gute Weg sei, und wandelt darin, so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele. Aber sie sprechen, wir wollen es nicht tun."

"Fragt nach den Wegen der Vorzeit", so heißt es, "welches der gute Weg sei". Was haben die Väter des Glaubens gelehrt? Es ist gut, sich immer wieder damit zu beschäftigen. Was ist nach dem Zeugnis der Bibel Grundlage unseres Glaubens und wird durch die Väter des Glaubens bestätigt? Es ist die zentrale Heils-Lehre von der Glaubensgerechtigkeit. Wie entscheidend wichtig ist die Rückkehr zum Fundament unseres Glaubens! Führt doch die Abkehr vom Evangelium, von der Rechtfertigungstheologie, zu den schier unlösbaren Problemen unserer Zeit. Nur unter der Voraussetzung des rechten Verhältnisses zu Gott durch das Evangelium, der Glaubensgerechtigkeit, können Problemlösungen unter dem Gesichtspunkt der Verherrlichung Gottes geschehen.
Die Kirche selbst steht und fällt mit dem Artikel der Rechtfertigung, so Luther, und sowohl die Kirche im Allgemeinen als auch das Glaubensleben der Einzelnen bestätigen diese Aussage. Dieser Artikel ist lebenswichtig und darum unentbehrlich. Er kann durch nichts ersetzt werden, auch nicht durch vermehrtes Beten (Beispiel: "Koreas Beter"; Gemeinden, deren Grundlage die Rechtfertigungslehre ist, sind verhältnismäßig klein, also keine "Mega-Gemeinden"), Bibellesen, Zeugnis-Geben und Hingabe.
Petrus schreibt in seinem zweiten Brief über die Notwendigkeit, immer wieder an bestimmte Kernwahrheiten der Heiligen Schrift erinnert zu werden. Wir lesen dazu einmal einige Verse aus dem zweiten Petrusbrief, K. 1 von Vers 12 an:
"Darum", so schreibt Petrus, "will ich es nicht lassen, euch alle Zeit daran zu erinnern, obwohl ihr es wisst und gestärkt seid in der Wahrheit, die unter euch ist."
Die Wahrheiten, von denen er spricht, waren in der Gemeinde bekannt. Man war darin gestärkt und gegründet, und trotzdem schreibt Petrus darüber. Offensichtlich hält er es für nötig, die Gemeinde immer wieder daran zu erinnern, zumal sein Heimgang bald geschehen würde: "Ich halte es aber für richtig, solange ich in dieser Hütte (=Leib) bin, euch zu erwecken und zu erinnern; denn ich weiß, dass ich meine Hütte bald verlassen muss. Wie es mir auch unser Herr Jesus Christus eröffnet hat. Ich will mich aber bemühen, dass ihr dies allezeit auch nach meinem Hinscheiden im Gedächtnis behalten könnt."
Um welche Wahrheiten ging es dem Apostel Petrus hier? Woran wollte er sie erinnern? Was wollte er ihnen als Vermächtnis nach seinem Abscheiden hinterlassen?
Er beginnt in K. 1,1 mit der Wahrheit von der Glaubensgerechtigkeit: "Simon Petrus, ein Knecht und Apostel Jesu Christi, an alle, die mit uns denselben teuren Glauben empfangen haben in der Gerechtigkeit, die unser Gott gibt und der Heiland Jesus Christus." Am Anfang erwähnt er also die Glaubensgerechtigkeit als Fundament unseres teuren Glaubens.
Danach schreibt er von der Kraft, die darin enthalten ist: "Gott gebe euch viel Gnade und Frieden durch die Erkenntnis Gottes und Jesu, unseres Herrn! Alles, was zum Leben und zur Frömmigkeit dient, hat uns seine göttliche Kraft geschenkt durch die Erkenntnis dessen, der uns berufen hat durch seine Herrlichkeit und Kraft."
Als nächstes folgt die Wahrheit von der Heiligung: "So wendet alle Mühe daran und erweist in eurem Glauben Tugend und in der Tugend Erkenntnis und in der Erkenntnis Mäßigkeit und in der Mäßigkeit Geduld und in der Geduld Gottseligkeit und in der Gottseligkeit brüderliche Liebe und in der brüderlichen Liebe die Liebe zu allen Menschen."
Anschließend geht es um die herrliche Wahrheit von der Wiederkunft Christi.
Auch vom Gericht über die Irrlehrer spricht Petrus in diesem Brief.
In geistlichen Dingen sind wir sehr vergessliche Leute. Darum haben wir es offensichtlich nötig, immer wieder an diese fundamentalen Wahrheiten der Heiligen Schrift erinnert zu werden, darüber nachzudenken und sie zu verinnerlichen (s. Ps. 1,2; Luk. 2,19), um dadurch gestärkt zu werden.
Dazu kommt, dass wir seit dem Sündenfall alle zum Irrtum neigen (vgl. Ps. 95,10).
Das betrifft nicht nur Menschen außerhalb der Gemeinde Jesu, sondern auch die an Christus Gläubigen. Uns gilt die Ermahnung, weder zur Linken noch zur Rechten vom Weg abzuweichen (s. Jos. 1,7). Es ist eine große Gnade, wenn ein Mensch den Weg zu Gott durch den Glauben an Jesus Christus findet, und es ist eine fast noch größere Gnade, wenn er auf diesem Weg bleibt und nicht davon abweicht. Wie nötig haben wir auch die zurchtbringende Gnade, falls wir uns verirrt haben, wie David schreibt: "Ich bin wie ein verirrtes und verlorenes Schaf; suche deinen Knecht!" (Ps. 119,176). Um wieder zurecht gebracht zu werden, brauchen wir Gottes Gnade, die uns sucht (vgl. David in Ziklag: 1. Sam. 27-30)).
Besonders groß und folgenschwer ist die Gefahr, den Boden der Rechtfertigungsgnade zu verlassen. Von Natur aus sind wir alle von der Werkgerechtigkeit geprägt (in diesem Sinne "katholisch"). Das Verdienstdenken, durch das wir Gott in die Pflicht nehmen wollen, um einen Segen von ihm zu empfangen, entspricht zutiefst unserer angeborenen Natur. Welch ein Wunder der Gnade Gottes ist es, wenn ein Mensch eine Sinnesänderung empfängt und fortan von nichts anderem mehr leben möchte als von der Gnade Gottes in Christus und auf diesem Fundament des christlichen Glaubens bleibt. Wie groß die Versuchung ist, diesen Boden der Rechtfertigungsgnade zu verlassen hin zu einem verdienstlichen Tun, zeigt uns der Brief an die Galater.
Wie dankbar dürfen wir dem Apostel Paulus sein, dass er einen festen Stand in der Wahrheit hatte, und dass er dem Apostel Petrus öffentlich widerstanden hat, als dieser durch sein Verhalten im Umgang mit den Heiden-Christen die Wahrheit verdunkelte, dass Juden und Heiden nicht durch Werke des Gesetzes, sondern allein aus Gnaden, durch den Glauben an Christus, gerettet werden (s. Gal. 2,11ff.).
Da es um die zentrale Wahrheit des Evangeliums ging, mußte die Sache öffentlich vor allen angesprochen und geklärt werden.
Auch im Zusammenhang mit der "geistlichen" Waffenrüstung geht es um einen sicheren Stand für den Soldaten bei der Verbreitung des Evangeliums, wenn Paulus an ein Schuhwerk denkt, an dessen Sohle sich kleine spitze Nägel befanden (Eph. 6,15).
Um keinen Preis dürfen wir aus Menschenfurcht in unserer "bösen Zeit" diesen festen Stand in der Wahrheit verlieren.
Das Gesetz mit seinen Forderungen nach den Werken des Menschen ist und kann niemals Heilsweg sein. Gerecht vor Gott werden wir allein durch den Glauben an Christus, nicht durch das, was wir tun, sondern durch das, was Gott in Christus am Kreuz für uns getan hat.
"Nun aber ist ohne Gesetz die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten (also im gesamten AT). Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben."
Die Frage, die wir jetzt noch erörtern wollen, lautet: Ist die uns von Gott in Christus durch den Glauben zugerechnete Gerechtigkeit zu unserer ewigen Errettung ausreichend, oder ist unser ewiges Heil nicht auch noch abhängig von unserer Heiligung? Anders gefragt: Ist unsere Heilsgewißheit allein in der Rechtfertigungsgnade begründet, oder in ihr und unserem Verhalten als Christen (Prozess der Heiligung)?
Nicht lange nach der Zeit der Apostel kann man in der Geschichte der Gemeinde Jesu mehr und mehr eine Verlagerung der Betonung vom Fundament des Evangeliums hin zum Verhalten und Dienst in der Nachfolge Jesu beobachten, das dann zu grober Werkgerechtigkeit und zwangsläufig zu einer Unsicherheit hinsichtlich unseres ewigen Heils führte. So schreibt Erich Schnepel in seinem Buch "Jesus im Römerreich - der Weg der Gemeinde Jesu in den ersten vier Jahrhunderten": "Für das erste Jahrhundert war die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, nicht nur in der Bekehrung, sondern bis zum letzten Atemzug das Geschenk der freien Gnade Jesu an den Sünder. Im zweiten Jahrhundert sind die Gemeinschaft mit Gott und die ewige Seligkeit nicht mehr das unverdiente Geschenk an den Sünder, sondern er selbst hat sich beides in ernstem Ringen zu erwerben. Die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, ist nicht mehr als Gabe der freien Gnade Anfang, Mitte und Ende unseres Christenlebens - der allein tragende Grund -, sondern sie ist das Ziel, das wir selbst uns zu erkämpfen haben."
Durch die Reformation unter Luther rückte die Glaubensgerechtigkeit wieder in den Mittelpunkt der Verkündigung und des persönlichen Glaubenslebens. Danach kam es zu einer ähnlichen Entwicklung als Gegenbewegung zu einer toten Rechtgläubigkeit bis hinein in unsere Tage, in denen kaum noch die Rechtfertigungslehre als Zentrum des Evangeliums Raum in den Gemeinden hat, wobei in den konservativen Kreisen die Hauptbetonung auf dem entschiedenen Gehorsam in der Nachfolge Christi liegt. Die Folge davon ist ein Verhalten und Wirken aus eigener Kraft, um bestimmter Segnungen teilhaftig zu werden, als stünde man noch unter der Herrschaft des Gesetzes. Heiligung und Dienst sind - auch wenn sie als Wirkungen der Gnade angesehen werden - zu Voraussetzungen geworden, um das Heil zu erlangen, und werden nicht mehr als Frucht der Glaubensgerechtigkeit verstanden. Dabei kommt es mehr und mehr zu einem vom Zentrum des Evangeliums losgelösten Praktizieren der sog. Imperative des Wortes Gottes (Befehlsformen / Ermahnungen). Zur Wahrheit von der Errettung des Sünders allein aufgrund der bleibenden uns zugerechneten Gerechtigkeit Christi durch den Glauben, wird das Verhalten des Gläubigen als Voraussetzung für das Erlangen des ewigen Heils hinzugefügt. Es kommen zu dem Heil, das Christus an unserer Stelle vollkommen vollbracht hat, die sichtbaren Veränderungen im Leben der Gläubigen als Grundlage unserer Heilsgewißheit. Das führt zwangsläufig zu einem "Frömmigkeitsstress" und bei Versagen oder einer Zeit geistlicher Dürre zu einer Heilsunsicherheit. So schreibt John McArthur in seinem Buch "Lampen ohne Öl" (S. 21): "Wirkliche Sicherheit entsteht dadurch, dass wir das verändernde Wirken des Heiligen Geistes im Leben eines Menschen wahrnehmen, nicht durch das Festklammern an gemachten Erfahrungen (= Rechtfertigung; Anm. W.K.)." Er fügt somit der Glaubensgerechtigkeit als alleiniger Grundlage unserer ewigen Errettung und Heilsgewißheit den sichtbaren Prozess der Heiligung als Voraussetzung unserer Errettung und Heilsgewißheit hinzu. Nach Meinung von John McArthur ist "wirkliche Errettung nicht nur Rechtfertigung." Wir haben es hier mit einer subtilen Form von Werkgerechtigkeit zu tun (s. meine Ausführungen zur Lehre von der "Lordship-Salvation" auf unserer Website).
Dagegen lehrt das Wort Gottes, dass wir ausschließlich durch die Glaubensgerechtigkeit Frieden mit Gott haben (Röm. 5,1) und somit Gemeinschaft mit Gott, Rettung und ewiges Leben durch die Vergebung der Sünden. Hingabe und jegliche Gehorsamsschritte (Bibellesen, Gebet, Bekenntnis usw.) von Seiten des Menschen, die alle unvollkommen sind - auch wenn sie durch den H. Geist gewirkt sind - sind als Grundlage unserer Heils- bzw. Glaubensgewißheit ausgeschlossen. Sie sind eine Frucht der Rechtfertigungsgnade. (In diesem Sinne ist auch das Wort aus Hebr. 12,14 zu verstehen). Auf diesem Gnadenboden wirkt der H. Geist der Gnade auch wunderbare Veränderungen in unserem Glaubensleben. Im Blick auf unsere ewige Errettung sind diese sichtbaren Veränderungen und Fortschritte in der Nachfolge Jesu jedoch auch nicht nur teilweise Grundlage unseres Vertrauens. Graf Zinzendorf hat das sehr treffend in seinem Lied "Christi Blut und Gerechtigkeit" zum Ausdruck gebracht: "Und würd ich durch des Herrn Verdienst / auch noch so treu in seinem Dienst, gewönn den Sieg dem Bösen ab / und sündigte nicht bis ins Grab: so will ich, wenn ich zu ihm komm, nicht denken mehr an gut und fromm, sondern: Da kommt ein Sünder her, der gern fürs Lösgeld selig wär."
Sämtliche Ermahnungen der H. Schrift wollen von der Rechtfertigunsgnade her verstanden und praktiziert werden, sonst rauben sie uns die Ermutigung und das Getrostsein in dem ein für allemal für uns geschehenen stellvertretenden Gehorsam Christi.
Wie wichtig ist es, dass wir nicht nur Gesetz und Evangelium unterscheiden, sondern auch Evangelium und Heiligung, damit wir nicht in ein eigenes, selbstgerechtes Frömmigkeitsstreben hineingeraten. Der Schwerpunkt in der Verkündigung darf nicht auf der Heiligung liegen, sondern auf der Rechtfertigungsgnade. In ihr ist unsere Errettung für alle Ewigkeit verbürgt.
In einer Zeit, in der die Gläubigen sich aus unterschiedlichen Gründen kaum noch mit den zentralen Wahrheiten der H. Schrift befassen, geht es für uns darum "nach unten Wurzeln zu schlagen", immer tiefer verwurzelt zu werden im Boden der Rechtfertigungsgnade, wie sie uns in der Bibel bezeugt wird. So wird es auch nicht ausbleiben, dass wir "oben Frucht tragen" (s. Jes. 37, 31).
Laßt uns "den Hügel Golgatha im Auge behalten, damit wir uns nicht in der Landschaft der H. Schrift verirren"!
Es bleibt also dabei: Christus und Christus allein in seiner wunderbaren stellvertretenden Gerechtigkeit, die uns durch den Glauben zugerechnet wird, - nicht das Gesetz, auch nicht die Heiligung und der Dienst für Gott - ist das Fundament unserer ewigen Errettung.
Amen!

Glaubensgerechtigkeit-IV.PDF